Vivien ist zertifizierte ganzheitliche Sexualberaterin und erfahrene Erotik-Texterin, die zahlreiche…
Senioren-Sex oder „Silver Sex”, wie man Sex im hohen Alter auch nennt, ist voll von Klischees und Mythen! Die Vorstellungen davon erstrecken sich vom „lüsternen Greis”, der das Altenheim unsicher macht, bis hin zum völlig libidolosen Ehepaar, für das Erotik im Alter schon seit der Silberhochzeit nicht mehr existiert. Dabei sind laut der Berliner Altersstudie die Menschen zwischen 60 und 80 Jahren um 30 Prozent häufiger sexuell aktiv als junge Leute zwischen 20 und 30 Jahren!
Aber warum ist ein aktives Liebesleben im Alter immer noch ein Tabu? Wir haben die Fakten zusammengefasst!
Sex im Alter – ein Tabuthema?
Sex im Seniorenalter scheint das Stiefkind der Sexualforschung zu sein. Die Sexualität von „Best Agern” und darüber hinaus ist wenig erforscht und aufgrund der unterschiedlichen Studienmethoden auch nicht eindeutig. Die Berliner Altersstudie zeigt, dass ein Drittel der älteren Studienteilnehmer*innen einmal pro Woche sexuell aktiv ist, während die jüngere Vergleichsgruppe im Durchschnitt einmal pro Monat sexuell aktiv ist.
In Bezug auf die Häufigkeit von Sex im Alter gibt es deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Frauen, die in festen Partnerschaften leben, sind sexuell aktiver als Frauen ohne Partner. Bei Männern scheint sich eine Partnerschaft nicht auf die Intensität ihrer Liebesabenteuer auszuwirken. Das wird auch beim Thema Masturbation deutlich! Je nach Studie befriedigen sich 12 bis 47 Prozent der über 60-jährigen Frauen regelmäßig selbst und 60 bis 75 Prozent der Männer.
Warum ist ein aktives und erfülltes Liebesleben im Alter ein Tabu, obwohl Statistiken zu Sex im Alter belegen, dass es keinesfalls ruhig ist in den Betten betagter Menschen? „Schuld” sind die westlichen Schönheitsideale und das, was als sexuell attraktiv und lustvoll betrachtet wird: genormte Traumkörper in den Zwanzigern, straffe Haut, flache Bäuche, pralle Hintern, Muskeln und athletische Männerkörper.
Alterserscheinungen wie faltige Haut, die dritten Zähne oder altersbedingte Gebrechen gehören einfach nicht zum „Sexiness”-Standard und werden als sexuell unattraktiv wahrgenommen. Das hat zur Folge, dass Erotik im Alter nicht im kollektiven Bewusstsein vertreten ist.
Es fehlt an Beratungsmöglichkeiten für alte Menschen, ebenso wie für Pflege- und Seniorenheime sowie für Angehörige der Bewohner*innen. Durch die Tabuisierung wird den körperlich eingeschränkten, aber geistig vitalen Menschen das Grundbedürfnis von Sexualität, Körperlichkeit und Nähe teilweise abgesprochen.
Das ist besonders schade, weil eine gelebte (!) gesunde Sexualität im Alter positive Auswirkungen auf den Menschen selbst, aber auch auf mögliches Pflegepersonal hat. Für pflegebedürftige Senior*innen sind Pflegekräfte oft der einzige körperliche Kontakt, und der findet beim Waschen und Pflegen eben auch im Intimbereich statt. Da ist es also nicht verwunderlich, dass es immer wieder zu sexuellen Irrungen und „Übergriffen” auf Pflegepersonal kommt – und das ist für beide Seiten eine unangenehme Situation!
Abhilfe schafft neben der Enttabuisierung von Senioren-Sex auch die Sexualassistenz. Sexualbegleiter*innen wie Nina de Vries begleiten alte Menschen in ihrer Sexualität und ihren individuellen Bedürfnissen nach Nähe, Zärtlichkeit und Intimität mit einer anderen Person. Je selbstverständlicher Liebesspiele im Alter in der gesellschaftlichen Mitte ankommen, desto besser können sie wahrgenommen, gelebt und unterstützt werden.
Ist Sex in hohem Alter gesund?
Sex unter Senioren kommt (zum Glück!) häufiger und intensiver vor, als man denkt! Aber ist Sex im hohen Alter gesund? Das hängt von der körperlichen Fitness, altersbedingten Erkrankungen, der Art des Liebesspiels und auch vom Geschlecht ab. Eine Studie der Michigan State University fand heraus, dass sich Geschlechtsverkehr im Alter positiv auf Frauen, aber nicht unbedingt auf Männer auswirkt. Die Studie wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren durchgeführt, in dem die Proband*innen zum Start zwischen 57 und 85 Jahre alt waren.
Die Ergebnisse überraschten und zeigten, dass Sex im hohen Alter nicht für alle gleichermaßen gesund ist. Eine aktive weibliche Sexualität im Alter wirkt wie ein Jungbrunnen und hat positive Auswirkungen auf den Blutdruck und das gesamte Herz-Kreislauf-System. Das könnte laut den Forschern um Studienleiterin Hui Liu an dem Sexualhormon liegen, das beim aktiven Liebesleben ausgeschüttet wird. Seniorinnen mit einem befriedigenden Liebesleben beugen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Bluthochdruck vor.
Bei den Herren der Schöpfung sieht das hingegen anders aus. Bei einer aktiven männlichen Sexualität ist das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen doppelt so hoch wie bei einer inaktiven. Haben die Männer besonders befriedigenden Sex, dann steigt das Risiko für Herzinfarkte, Bluthochdruck und Schlaganfälle.
Die Forschungsgruppe vermutet, dass dieses Ergebnis mit der Überanstrengung beim Sex zutun hat. Der Orgasmus im Alter braucht oft mehr Zeit und Anstrengung als in jungen Jahren. Männer strengen sich meist mehr an, um einen zu bekommen, und das ist richtig viel Stress für das Herz-Kreislauf-System.
Auf die Frage, ob Sex im Alter gesund ist, gibt es keine allgemeingültige Antwort. Vielmehr hängt es von verschiedenen Faktoren ab – und in erster Linie an der Lust auf Sex mit sich selbst und dem Partner oder der Partnerin!
Wie verändert sich Sex im Alter?
Liebe machen ist im Rentenalter anders als in den „wilden” Zwanzigern. Nicht unbedingt weniger wild, aber dafür meist mit mehr Erfahrung verbunden, losgelöster und mit Fokus auf die Lust aufeinander.
Das Augenmerk liegt weniger auf dem eigenen Körper und einer bestmöglichen Performance. Der menschliche Körper macht eine Menge Veränderungen im Alter durch, und die wirken sich auf die Sexualität aus. Zwischen Männern und Frauen gibt es dabei deutliche Unterschiede.
Veränderte Sexualität im fortgeschrittenen Alter bei Frauen
Im Klimakterium, den Wechseljahren der Frau, verändern sich ihre Hormonlage und ihr Körper. Die fruchtbare Lebensphase ist vorbei und der Anteil an Östrogenen, den weiblichen Botenstoffen, nimmt ab. Langsamer als die weibliche Hormonproduktion, ebbt die Ausschüttung des männlichen Sexualhormons ab, dem Testosteron. Und das hat Auswirkungen auf die Geschlechtsorgane der Frau. Das Fettgewebe reduziert sich am Venushügel und auch an den äußeren und inneren Vulvalippen, die Scheidenwände werden nicht mehr so gut durchblutet, die Vagina verliert an Elastizität und wird in Folge enger und kürzer.
Auch die Lubrikation, also das Feuchtwerden, funktioniert nicht mehr so gut wie in jungen Jahren. Insgesamt wird die Vulva zarter und empfindlicher und es dauert länger, bis frau feucht genug für die Penetration ist.
Die Orgasmusfähigkeit hingegen verändert sich nicht, und auch die Intensität der Höhepunkte bleibt gleich. Das liegt daran, dass die Klitoris so ziemlich das einzige Organ ist, das seine Funktionsfähigkeit im Laufe des Alters nicht verliert. Durch die Fettreduktion des Körpers wird der sichtbare Teil, die Klitoriseichel, lediglich „größer”. Beim Höhepunkt werden lediglich die Muskelkontraktionen sanfter und weniger.
Veränderung der männlichen Sexualität im Alter
Die Wissenschaft war sich lange nicht einig, ob Männer ebenfalls eine Art Klimakterium durchlaufen. Belege gibt es dafür bisher nicht. Allerdings gibt es Erfahrungen und Erkenntnisse darüber, bis wann sie beim Sex im Alter zeugungsfähig sind. Männer sind im Gegensatz zu Frauen bis ins hohe Alter fruchtbar, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, Nachwuchs zu zeugen, mit den Jahren abnimmt.
Der Hormonspiegel sinkt wesentlich langsamer als bei Frauen und so kann man(n) auch mit 80 plus noch einen hohen Testosteronspiegel haben. Das ist allerdings von Mann zu Mann unterschiedlich und lässt sich nicht pauschalisieren.
Eine deutliche Veränderung gibt es allerdings im Stehvermögen. Der Penis braucht länger, bis er erigiert, und muss intensiver animiert werden, damit er steif genug für die Penetration ist. Nicht selten wird er auch schneller wieder weich als in jungen Jahren. Zusätzlich kann es passieren, dass „er” nicht mehr zum Höhepunkt kommt und auch der Samenerguss im hohen Alter ausbleibt. Nach dem Sex brauchen Männer im Alter oft Tage, bis sie für die nächste Runde bereit sind. Das ist allerdings kein Hinderungsgrund, denn beim Sex sollte es um Qualität und nicht um Quantität gehen – besonders im Seniorenalter, wenn der Körper und die Seele keine zwanzig mehr sind!
Probleme und Herausforderungen beim Liebesakt im Seniorenalter
Mit den körperlichen Veränderungen kommen auch die Probleme, die Sex im Alter mit sich bringt. Bei Frauen ist wohl die größte Herausforderung, dass sie nicht oder nur unzureichend feucht werden. Die Warm-up-Phase ist im hohen Alter wesentlich länger und wird oft unterschätzt. Frauen brauchen wesentlich länger, damit die Scheide genug Sekret produziert, damit es „flutscht”.
Reicht die Stimulation im Vorfeld also nicht aus, dann wird der Sex schmerzhaft und nicht lustvoll. Das Schmerzgedächtnis speichert diese Erfahrung ab und die Frau hat womöglich keine Lust auf Intimität mit einem Partner. Hier helfen hautfreundliche Bio-Gleitmittel, Entspannung und ein Vorspiel mit beispielsweise Oralsex oder einer sinnlichen Tantra-Massage.
Die Scheidenwände werden dünner und schützen die Harnblase nicht mehr so gut bei der Penetration. Das kann bei häufigem Sex im Alter zu einer Reizblase führen. Die entsteht aber nicht nur durch die Reibung des Penis, denn 13 Prozent der älteren Frauen leiden darunter. Betroffene können ihren Urin nicht richtig halten, und somit kann es auch beim Sex zum Urinverlust kommen. 7 Prozent der verheirateten Frauen berichten über Schmerzen an der Scheidenöffnung oder dem Unterbauch beim oder nach dem Sex – ein echter Lustkiller!
Frauen geraten meist in eine Schmerz-Angst-Spirale oder haben aufgrund von Beziehungskonflikten oder Schuldgefühlen keine Lust mehr auf intime Zweisamkeit. Schmerzursache können aber auch Pilzinfektionen, Entzündungen der Vagina oder Verwachsungen sein. Am besten ist frau dann bei ihrem Gynäkologen oder ihrer Gynäkologin aufgehoben.
Männer haben deutlich weniger Probleme mit ihrer Sexualität im Seniorenalter. Bei ihnen sind vor allem Potenzprobleme eine Herausforderung. Die häufen sich durch verschiedene Ursachen mit den Jahren und können zum kompletten Verlust der Libido führen. Besonders betroffen sind Männer mit Diabetes, Bluthochdruck und verkalkten Arterien. Auch eine mögliche Operation der Prostata kann zu Problemen im Bett führen.
Kommen noch Leistungsdruck und eine Portion Jugendwahn dazu, dann kann das die totale Flaute im Bett bedeuten. Männer im Rentenalter sollten sich bewusst machen, dass jeder Lebensabschnitt seinen Reiz hat und Sexualität und körperliche Nähe nicht an ihr Stehvermögen gekoppelt sind. Sex hat viele Facetten und für die hat man im Alter Ruhe und Zeit.
Die Vorteile von Senioren-Sex
Erfüllender Sex ist für ein gutes Leben wichtig, auch im Alter. Intimität ist das Salz in der Suppe – auch und besonders für Menschen jenseits der 50 oder 60! Auf die Frage „Wie oft hat man im Alter Sex?” gibt es keine allgemeine Antwort. Die Intensität von Stelldicheins und Liebesspielen hängt von der Libido des älteren Menschen, den Lebensumständen und der Offenheit des Umfeldes ab. Ganz sicher ist aber: Sex im hohen Alter hat viele Vorteile!
Erfahrung und Reife: Alte Menschen profitieren beim Sex von ihrer Liebes- und Lebenserfahrung! Während junge Menschen oft noch in unbekanntem Fahrwasser schippern, wissen ältere Menschen bereits genau, was sie mögen und was nicht. Sie sind reif genug, um zu wissen, dass es beim Liebesakt nicht auf einen straffen Hintern ankommt, sondern auf die Lust aufeinander!
Länger Spaß beim Sex: Ist man(n) körperlich fähig zu einem Samenerguss im Alter, dann wird dieser vermutlich deutlich später passieren als noch in jungen Jahren. Ist der Penis erst einmal startklar, dann dauert das Liebesspiel im Alter auch länger. Hinzu kommt die längere Aufwärmphase der Frau.
Mit Ruhe und Gemütlichkeit: Wer aufgrund von altersbedingten Erkrankungen beim Geschlechtsakt einen Gang runterschaltet, genießt den Moment viel intensiver. Der Sex ist im Alter kein Sprint mehr, sondern eher ein Marathon – aber ein ganz gemütlicher mit Pausen für Streicheleinheiten und Küsse.
Sex hält den Kopf fit: Eine Studie der Universität Rostock belegt, dass regelmäßiger Spaß im Bett im hohen Alter die kognitiven Fähigkeiten erhält. Wer auch in jungen Jahren ein aktives Liebesleben pflegte, wird das im Rentenalter auch weiter haben: Sex wirkt also wie Gehirnjogging!
Stellungen und Tipps um das Sexleben im Alter zu verbessern
Der Sex in den „goldenen Fünfzigern” ist laut einer JoyClub-Umfrage für fast 46 Prozent der User*innen der Beste ihres Lebens. Aber wie wird „Silver Sex” richtig gut? Wir haben die besten Tipps zusammengefasst.
Gleitgel ist ein Muss: Da viele ältere Frauen von Scheidentrockenheit betroffen sind, sollte immer ausreichend Gleitgel verwendet werden. Am besten eignen sich hautfreundliche sensitive Gele, die die empfindlichen Schleimhäute nicht reizen. Das Motto bei Gleitmittel: „Viel hilft viel!”
Sextoys haben keine Altersbegrenzung: Der eine oder andere Spieltrieb lässt auch im Alter nicht nach. Sexspielzeuge sind eine tolle Möglichkeit, um frischen Wind in die Laken zu bringen, die eigenen Bedürfnisse kennenzulernen und den Beckenboden zu trainieren.
Sexpraktiken für Ältere: Stellungskriege und akrobatische Höchstleistungen im Bett sollten beim Sex im hohen Alter vermieden werden. Am besten eignen sich die Löffelchen-Stellung, Missionarsstellung oder die Sexstellung „Die Liebenden”, bei der sie auf seinem Schoß sitzt: gelenkschonend und sehr nah.
Verhüten? Auf jeden Fall!: Unfruchtbarkeit ist ein Vorteil der Wechseljahre. Auch wenn eine Schwangerschaft beim Sex im reifen Alter ausgeschlossen ist, können sich Partner gegenseitig mit sexuell übertragbaren Krankheiten infizieren. Kondome schützen zuverlässig vor Geschlechtskrankheiten.
Erotische Pornos für Senioren: Sex beginnt im Kopf und Pornofilme sind eine sinnliche Inspiration für die eigene Sexualität. Statt frauenverachtenden Mainstream-Pornos sollten betagte Menschen mit Lust auf Sex auf Frauenpornos setzen, wie die der sexpositiven Filmemacherin Erika Lust.
Potenzmittel? Weniger ist mehr: Besonders Männer mit Herzerkrankungen sollten auf potenzsteigernde Hilfsmittel wie Viagra verzichten und sich nicht unter Druck setzen (lassen). Eine erfüllte Sexualität und der veränderte Körper brauchen Zeit und Einfühlungsvermögen. Libidosteigernde Medikamente sollten immer mit einem Arzt besprochen werden.
Fazit zum Liebesleben im Alter
Ältere Menschen haben beim Sex genauso viel Spaß wie jüngere Menschen, wenn sie auf die individuellen Bedürfnisse ihres Körpers hören und eingehen. Sex ist schließlich mehr als Penetration! Streicheleinheiten, erotische Massagen, sinnliche Küsse und Kuscheleinheiten machen den Liebesakt im Rentenalter zum puren Genuss.
Vivien ist zertifizierte ganzheitliche Sexualberaterin und erfahrene Erotik-Texterin, die zahlreiche Ratgeber- und Blogartikel geschrieben hat. Mit ihrer Expertise verfasst sie Texte rund um Liebe, Sexualität und Beziehungen. Vivien ist außerdem Co-Host vom Sex-Podcast „Bedtime Talk“ (u.a. auf Spotify).